Theorie X und Y – McGregors wahre Botschaft

Theorie X das Hirngespinst

Wenn du schon einmal an einem Führungskräftetraining teilgenommen hast, kennst du sicher die X- und Y-Theorie von Douglas McGregor. Auf der einen Seite die X-Menschen mit ihrer angeborenen Abneigung gegen Arbeit und auf der anderen Seite die Y-Menschen, die sich mit grosser Befriedigung einer Arbeit widmen können. Diese beiden Theorien werden gerne gegenübergestellt, um die Auswirkungen verschiedener Führungsstile auf die Motivation der Mitarbeitenden aufzuzeigen. Mich stören diese vereinfachten Darstellungen, die den eigentlichen Kerngedanken von McGregor einfach ausblenden. Er prägte die Begriffe Theorie X und Y nicht, um eine Seite als überlegen darzustellen, sondern um Führungskräfte dazu zu bewegen, ihre Überzeugungen und Annahmen kritisch zu hinterfragen.

Theorie X

Bereits vor über 50 Jahren hat Douglas McGregor die X und Y Theorie geprägt. Sie geht davon aus, dass Mitarbeitendenführung durch das Menschenbild der Führungskräfte geprägt wird. Als Theorie X bezeichnet McGregor das Bild, dass Menschen eine angeborene Abneigung gegen Arbeit haben. Sie versuchen ihr aus dem Weg zu gehen. Die Mitarbeitenden müssen in der Regel zur Arbeit angehalten und mit Strafen bedroht werden, um die Unternehmensziele zu erreichen. Diese Menschen vermeiden Verantwortung, haben wenig Ehrgeiz, suchen Sicherheit und wollen geführt werden (McGregor, 1974, S. 47-48).

In Seminaren oder Managementkursen habe ich immer wieder von der Gegenüberstellung der Theorien X und Y durch McGregor gehört. Dies diente ihm als Grundlage, um die verschiedenen Führungsstile und ihre Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeitenden zu verstehen. Tatsächlich war es aber anders: McGregor erkannte die Theorie X als gängige Praxis seiner Zeit und wollte Führungskräfte dazu anregen, das Potenzial des Menschenbildes und der Motivation zu nutzen, um produktivere und zufriedenere Arbeitsumgebungen zu schaffen. Wenn du mehr über die zeitliche Einordnung seiner Theorie wissen möchtest, empfehle ich dir meinen letzten Beitrag «Management im Wandel der Zeit».

McGregor hatte kein Verständnis für den weit verbreiteten Glauben an die Theorie X. Hier ein Zitat aus der deutschen Ausgabe von «Der Mensch im Unternehmen» von 1974:

Darüber hinaus könnten die Organisationsprinzipien, von denen ein Grossteil der Management-Literatur strotzt, nur von solchen Hirngespinsten der Theorie X abgeleitet worden sein. Andere Einsichten in die menschliche Natur würden unvermeidlich zu grundverschiedenen Organisationsprinzipien geführt haben.
(McGregor, 1974, S. 48–49)

Theorie Y

Er kritisierte viele Managementstrategien, weil sie «von den alten unangemessenen Annahmen über die menschliche Natur abgeleitet sind» (McGregor, 1974, S. 57). Sein Ziel war es jedoch nicht, Theorie Y als universelle Wahrheit oder moralische Überlegenheit darzustellen, sondern Führungskräfte dazu anzuregen, neue, realitätsnahe Überzeugungen zu entwickeln. Menschen sind nicht grundsätzlich arbeitsscheu. Je nach Bedingungen kann eine Arbeit als grosse Befriedigung oder als Strafe wahrgenommen werden. Mitarbeitende können sich mit Selbstdisziplin und Selbstkontrolle einer Tätigkeit hingeben, wenn sie sich den Zielen verpflichtet fühlen. Das Gefühl der Verpflichtung entspricht der Belohnung, die mit der Zielerreichung verbunden ist. Die grösste Belohnung ist die Befriedigung von Bedürfnissen der Persönlichkeit und der Persönlichkeitsentfaltung. Mitarbeitende können lernen, Verantwortung zu übernehmen oder zu vermeiden. Beides ist nicht angeboren. Viele Menschen haben die Fähigkeit, kreative Lösungen für organisatorische Probleme zu finden. Das geistige Potential der Mitarbeitenden wird im «modernen industriellen Leben» zu wenig genutzt (McGregor, 1974, S. 61–62).
Auf die Zielerreichung der Organisation bezogen fasste McGregor die beiden Theorien wie folgt zusammen:

Das zentrale Organisationsprinzip der Theorie X heisst Lenkung und Kontrolle durch Autorität – das sogenannte «skalare Prinzip». Das zentrale Prinzip der Theorie Y dagegen lautet Integration: Schaffung von Bedingungen solcher Art, dass die Mitglieder der Organisation ihre eigenen Ziele am besten erreichen, wenn sie sich um den Erfolg des Unternehmens bemühen.
(McGregor, 1974, S. 63)

Nach dem Menschenbild der Theorie X haben Menschen eine angeborene Abneigung gegen Arbeit. Douglas McGregor hat dies vor fast sechzig Jahren widerlegt und die gegenteilige Theorie Y geprägt. Schon damals konnte er nachweisen, dass sich Menschen mit Selbstdisziplin und Selbstkontrolle einer Tätigkeit widmen können, wenn sie sich den Zielen verpflichtet fühlen. McGregor bezeichnete die Theorie X als Hirngespinst. Trotzdem hält sie sich bis heute hartnäckig bei Mitarbeitenden aller Stufen.

Und noch eine Randbemerkung: McGregor war auch kein Freund von Leistungsbeurteilungen. In seinem Buch «Der Mensch im Unternehmen» widmete er der Kritik an der Leistungsbeurteilung ein ganzes Kapitel. Er war nämlich der Meinung, dass die eigene Wirksamkeit und die Befriedigung von Persönlichkeits- und Selbstentfaltungsbedürfnissen für die Motivation zur Zielerreichung entscheidend sind.

Abschluss

Wenn du also das nächste Mal von McGregor hörst, erinnere dich daran, dass er schon vor über 50 Jahren daran geglaubt hat, dass Menschen von sich aus gute Arbeit leisten können. Und er hat aufgezeigt, dass es ein über Generationen weitergegebenes Menschenbild ist, das viele glauben lässt, dass Menschen nur durch Führung und Kontrolle durch Vorgesetzte gute Arbeit leisten können.

Die Theorie X war für ihn nur ein Sinnbild für das vorherrschende Menschenbild, während die Theorie Y eine Alternative aufzeigte. McGregor wollte Führungskräfte jedoch vor allem dazu ermutigen, bestehende Überzeugungen zu hinterfragen, neue Ansätze zu erproben und Managementstrategien zu entwickeln, die auf realitätsnahen Annahmen beruhen.

Die Welt hat sich verändert. Aber Theorie X scheint unsterblich zu sein. Es liegt an uns, McGregors Vision einer menschenzentrierten Führung zu verwirklichen. Denn echte Motivation beginnt in unserem Kopf: mit unserem Menschenbild und unseren Werten.

Wenn du also in deinem Unternehmen das Gefühl hast, dass Kontrolle wichtiger ist als Vertrauen, dann frage dich:
Welches Menschenbild steckt dahinter?


Quellen

  • McGregor, D. (1974). Der Mensch im Unternehmen: The Human Side of Enterprise. Zürich: Buchclub Ex Libris.

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Eine Antwort zu „Theorie X und Y – McGregors wahre Botschaft“

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