Verantwortung – Die ungenutzte Superkraft

Entdecke die Macht des Responsibility Process

Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einem Lehrer einer Oberstufenklasse. Er hat sich darüber beklagt, dass einige seiner Schüler:innen den grössten Teil ihrer Schulzeit passiv über sich ergehen lassen und kaum Eigeninitiative zeigen. Es ist traurig zu sehen, wie diese jungen Menschen vor der Berufswahl und dem Erwachsenwerden stehen und sich vor allem fremdbestimmen lassen. Auch im Berufsleben treffe ich immer wieder auf Menschen, die sich davor drücken, echte Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht haben diese Menschen schlechte Erfahrungen damit gemacht, vielleicht glauben sie, dass ihre vorgesetzte Person oder jemand, der mehr verdient, die Verantwortung übernehmen soll, und vielleicht haben sie – genau wie die Schüler:innen – es nie gelernt, Verantwortung zu übernehmen.
Dabei ist Verantwortung zu übernehmen eine grosse Befreiung und Bereicherung für das eigene Leben. Wenn wir voll hinter dem stehen, was wir tun, können wir uns kreativ einbringen und eine tiefe Befriedigung und Leichtigkeit in unserer Arbeit erfahren. Und dabei ist es nicht einmal entscheidend, ob wir eine Aufgabe ursprünglich als besonders spannend empfunden haben. Verantwortung zu übernehmen ist keine Strafe, sondern eine Superkraft. Aber wie lernt man, Verantwortung zu übernehmen? Ich stelle heute den «Responsibility Process» vor, der genau das ermöglicht.


Ziele setzen ist nicht genug

Ich bin ein grosser Befürworter der Selbstorganisation in Unternehmen und fest davon überzeugt, dass wir bessere Organisationen hätten, wenn wir stärker auf die Prinzipien der Selbstorganisation vertrauen würden. Dieses Thema ist umfassend, und ich möchte mich heute auf den individuellen Beitrag als Arbeitnehmer:in konzentrieren. In traditionellen Organisationen, die stark auf Fremdorganisation setzen, sind Vorgesetzte notwendig, um die Leistung der Mitarbeitenden sicherzustellen. Dies führt zur klassischen Trennung zwischen Manager:innen und Arbeiter:innen.

Wendet sich ein Unternehmen jedoch der Selbstorganisation zu, verschwindet diese Trennung. Stattdessen treten andere Einflussfaktoren in den Vordergrund, um die notwendige Leistung für ein gemeinsames Unternehmensziel zu erbringen. Ein zentraler Aspekt dabei ist eine klare Ausrichtung. Mit einem klaren und gemeinsamen Ziel benötigen wir niemanden, der uns antreibt oder kontrolliert, um gute Leistungen zu erbringen.

Doch was geschieht, wenn etwas schiefgeht oder Spannungen auftreten? In solchen Momenten sind die Beteiligten gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Während wir viel darüber lernen, wie man Strategien und Ziele entwickelt, fehlt oft das Wissen darüber, wie Menschen mehr Verantwortung übernehmen können. Welche Verhaltensmuster hindern uns daran, Verantwortung zu übernehmen, wenn wir auf Probleme stossen?

Christopher Avery hat mit «The Responsibility Process» ein Modell entwickelt, das aufzeigt, wie wir auf Probleme reagieren und welche Denkmuster dabei ablaufen. Wie jedes Modell ist es eine Vereinfachung, und das Leben ist viel komplexer. Aber es hilft, die Übernahme von Verantwortung verständlich zu erklären. Für mich ist das Modell wertvoll, um mein eigenes Verhalten zu reflektieren. Und das ist ein wichtiger Punkt bei diesem Thema: Dieser Prozess ist für dich. Er ist nur bedingt geeignet, andere zu mehr Verantwortungsübernahme zu bewegen. Aber dazu später mehr.

Als Grundlage für den heutigen Beitrag verwende ich die deutsche Ausgabe des Buches «The Responsiblity Process – Wie Sie sich selbst und andere wirkungsvoll führen und coachen», das 2019 im dpunkt.verlag erschienen ist.

Verantwortlichkeit ist nicht gleich Verantwortungsübernahme

Obwohl wir die beiden Begriffe oft synonym verwenden, ist es für die folgenden Überlegungen wichtig, zwischen «Verantwortlichkeit» und «Verantwortung übernehmen» zu unterscheiden. Wenn ich für etwas verantwortlich bin, dann erledige ich diese Aufgabe pflichtbewusst, oft aufgrund von Erwartungen oder Anweisungen von aussen. Dies kann mit einem Gefühl der Verpflichtung oder sogar des Zwangs einhergehen, ohne dass ich mich persönlich mit der Aufgabe verbunden fühle.

Wenn ich aber Verantwortung übernehme, bin ich viel aktiver und engagierter: Ich will an meiner eigenen Entwicklung arbeiten, aus Fehlern lernen und proaktiv nach Lösungen suchen. Verantwortung zu übernehmen bedeutet, aus einer inneren Motivation heraus zu handeln und sich aktiv für das Ergebnis einzusetzen. Es geht darum, die Kontrolle über die Situation zu übernehmen und positive Veränderungen herbeizuführen, anstatt nur Aufgaben zu erledigen.

Und hier wird in vielen Unternehmen ein grosser Fehler gemacht. Je mehr wir Menschen über Verantwortlichkeiten steuern, desto weniger übernehmen sie Verantwortung. Denn Verantwortlichkeit basiert auf einer glaubwürdigen Drohung und geht mit Angst einher (S. 54). Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, dass sie bestraft werden, wenn sie Fehler machen, sind sie weniger bereit, proaktiv Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen konzentrieren sie sich darauf, Fehler zu vermeiden, was Innovation und Kreativität hemmen kann.

Um den Mangel an echter Verantwortung in Organisationen auszugleichen, werden von Managern und Personalverantwortlichen umfassende Leistungsmanagementsysteme entwickelt, die zu einer weiteren Vermeidung von Verantwortung führen (S. 55). Diese Systeme können dazu führen, dass sich die Mitarbeitenden auf das Erreichen von Kennzahlen konzentrieren, anstatt sich auf das übergeordnete Ziel und die Werte der Organisation zu fokussieren.

Übersicht

Auf der Website responsiblity.com kann ein zweiseitiges Poster in mehreren Sprachen heruntergeladen werden. Es ist eine visuelle Darstellung des Responsibility Process von Christopher Avery und zeigt die verschiedenen mentalen Zustände, die wir durchlaufen können, wenn wir mit Problemen oder Herausforderungen konfrontiert werden.

Diese Stufen stellen den Weg von der Vermeidung von Verantwortung zur Übernahme von Verantwortung dar. Lassen Sie uns die sieben Stufen im Schnelldurchlauf durchgehen, bevor wir sie genauer betrachten:

  • Leugnen: Am unteren Ende des Prozesses steht das Leugnen. In diesem Zustand ignorieren wir die Existenz eines Problems oder einer Herausforderung. Es ist eine Abwehrstrategie, die uns davor schützt, uns unangenehmen Wahrheiten zu stellen.
  • Beschuldigen: Wenn wir das Leugnen überwunden haben, können wir in den Zustand des Beschuldigens geraten. Hier geben wir anderen die Schuld an der Situation.
  • Rechtfertigen: Im Zustand des Rechtfertigens suchen wir nach Entschuldigungen in den Umständen, warum die Dinge so sind, wie sie sind.
  • Schämen: Schämen ist ein Zustand, in dem wir uns selbst verurteilen.
  • Aufgeben: An diesem Punkt ziehen sich viele Menschen aus der Verantwortung zurück, indem sie aufgeben. Denn mit dem Aufgeben kann weiterer Schmerz vermieden werden, der sich hinter Scham und Verpflichtung verbirgt.
  • Verpflichtung: Verpflichtung ist der Zustand des «müssen, aber nicht wollen». Wir tun, was wir müssen, nicht was wir wollen.
  • Verantwortung: Am oberen Ende des Prozesses steht die echte Übernahme von Verantwortung. Hier nehmen wir unsere Fähigkeiten und Kräfte in die Hand, um das zu schaffen, auszuwählen und anzuziehen, was wir wollen. Verantwortung bedeutet, aktiv an der eigenen Entwicklung zu arbeiten, aus Fehlern zu lernen und proaktiv nach Lösungen zu suchen. Es geht darum, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und positive Veränderungen herbeizuführen.

Der Responsibility Process ist ein hilfreiches Werkzeug, um zu verstehen, wie wir auf Probleme reagieren und welche mentalen Denkmuster dabei ablaufen. Indem wir die verschiedenen Stufen durchlaufen, können wir lernen, echte Verantwortung zu übernehmen und positive Veränderungen in unserem Leben und unserer Arbeit herbeizuführen. Etwas später werde ich auf die drei Schlüssel zu echter Verantwortung eingehen. Der Prozess ist am nützlichsten, wenn wir ihn auf uns selbst anwenden und uns bewusst machen, wie wir auf Herausforderungen reagieren und wie wir an ihnen wachsen können.

Lasse uns nun die sieben Schritte etwas genauer betrachten:

Leugnen

Am Anfang des Prozesses befindet sich das Leugnen, bei dem wir die Realität eines Problems oder einer Herausforderung nicht anerkennen. Diese Verhaltensweise dient als Schutzmechanismus, der uns vor der Konfrontation mit unbequemen Tatsachen bewahrt. Obwohl das Leugnen kurzfristig Erleichterung verschaffen kann, blockiert es langfristig jeglichen Fortschritt oder die Möglichkeit, Lösungen zu finden. Es stellt die erste Hürde dar, die überwunden werden muss, um echte Verantwortung zu übernehmen.

Beschuldigen

Wenn wir das Problem erkennen, ist die unterste Stufe, jemand anderen zu beschuldigen. Beschuldigungen in Organisationen äussern sich oft in Aussagen wie:

  • «Der Kunde hat uns seinen Bedarf nicht klar genug beschrieben.»
  • «Das Team, von dem wir abhängig sind, hat nicht geliefert.»
  • «Unser Lieferant hat einen Meilenstein nicht eingehalten.» (S. 69)

Das Beschuldigen basiert auf der Annahme, dass jemand anderes für die Situation verantwortlich ist. Schuldzuweisungen dienen als Abwehrmechanismus, der uns davor bewahrt, unseren eigenen Beitrag zu einem Problem zu reflektieren. Es ist oft einfacher, äusseren Faktoren die Schuld zuzuschreiben, als sich selbst kritisch zu hinterfragen. Wir können diesen Zustand überwinden, indem wir das Bedürfnis nach einem Sündenbock aufgeben (S. 70, 72).

Rechtfertigen

Wenn wir andere nicht beschuldigen, fällt es uns im nächsten Schritt leicht, einen Umstand dafür verantwortlich zu machen. Rechtfertigen in Organisationen äussert sich häufig so:

  • «Uns lässt man nur die veraltete Technik.»
  • «Unsere Prozesse sind viel zu bürokratisch.»
  • «Warum ärgern? Hier ändert sich doch sowieso nie etwas.» (S. 74)

Wenn wir uns rechtfertigen, sehen wir uns auch als Opfer der Umstände. Wir sind die Wirkung und etwas anderes ist die Ursache (S. 75). Um aus diesem Zustand herauszukommen, müssen wir uns der Geschichten, die wir uns selbst erzählen, bewusst werden und unsere selbstgeschaffene Ohnmachtsposition erkennen und verlassen wollen (S. 76).
Rechtfertigung hält uns davon ab, aktiv nach Lösungen zu suchen, weil wir uns einreden, dass die Situation ausserhalb unserer Kontrolle liegt.

Mit Beschuldigen und Rechtfertigen schieben wir die Ursache von uns weg. Entweder zu einer Person oder zu einer Sache.

Schämen

Beim Schämen sind wir sowohl Ursache als auch Wirkung, aber auf eine negative Weise. Wir beschuldigen uns selbst mit Aussagen wie:

  • «Ich bin nicht klug genug.»
  • «Ich habe mir nicht genug Mühe gegeben.»
  • «Ich verdiene keinen Erfolg.»
  • «Ich bin ein Versager.» (S. 80)

In unserer Kultur wird Verantwortung übernehmen oft mit Schuld auf sich nehmen gleichgesetzt, also mit Schämen. Doch das ist keine wahre Verantwortung (S. 81). Unsere Kultur belohnt Schämen, indem sie es als verantwortungsvoll ansieht, sich zu entschuldigen und sich schlecht zu fühlen, anstatt das Problem direkt anzugehen und eine Lösung zu finden (S. 82). Schämen kann zu einem Teufelskreis führen, in dem wir uns immer wieder selbst bestrafen, anstatt aus Fehlern zu lernen und uns weiterzuentwickeln.

Um aus dem Schämen herauszukommen, müssen wir erkennen, dass wir uns selbst die Schuld geben, und uns fragen: «Wie lange willst du dich dafür fertigmachen, dass du ein Mensch bist?» (S. 82). Es ist wichtig, sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen und zu akzeptieren, dass Fehler Teil des Lernprozesses sind.

Aufgeben

An diesem Punkt steigen viele Menschen ganz aus der Verantwortungsübernahme aus, indem sie aufgeben. Denn mit dem Aufgeben kann weiterer Schmerz, der hinter Scham und Verpflichtung steht, vermieden werden.

Verpflichtung

Verpflichtung ist der mentale Zustand des «müssen, aber nicht wollen». Unsere Kultur lehrt uns, dass es gut ist, Verpflichtungen nachzukommen, selbst wenn es uns nicht gefällt (S. 85). Typische Aussagen sind:

  • «Ich muss zu dieser blöden Besprechung.»
  • «Ich muss diesen Stapel Papierkram erledigen.» (S. 86)

Wenn wir eine Verantwortlichkeit nach Vorschrift wahrnehmen dann entspricht das einer Verpflichtung. Verpflichtungen führen oft zu einfallslosen und teuren Leistungen, die gerade noch zufriedenstellend sind. Sie können zu Verbitterung führen, weil wir uns mit dem abfinden müssen, was wir nicht haben können. Dies kann in Zynismus und Sarkasmus umschlagen (S. 87).

Wir steigen aus der Verpflichtung aus, wenn wir es ablehnen, uns gefangen zu fühlen (S. 90). Es ist wichtig zu erkennen, dass wir immer eine Wahl haben und nichts tun müssen, was wir nicht wollen (S. 88). Verpflichtungen können uns daran hindern, kreative Lösungen zu finden, weil wir uns auf das konzentrieren, was notwendig ist, anstatt das Potenzial für Verbesserungen zu sehen.

Verantwortung

Wahre Verantwortungsübernahme bedeutet, aktiv an der eigenen Entwicklung zu arbeiten, aus Fehlern zu lernen und proaktiv nach Lösungen zu suchen, anstatt in der Opferrolle zu verharren. Es geht darum, die Kontrolle über das eigene Leben zu übernehmen und positive Veränderungen herbeizuführen.

Avery definiert Verantwortung mit diesem etwas umständlichen Satz: «In Besitz nehmen unserer Fähigkeit und Stärke zu erschaffen, auszuwählen und anzuziehen».

Verantwortung zu übernehmen ist eine wahre Superkraft. Das Buch enthält eine Gegenüberstellung (S. 93) unserer Zustände, wenn wir uns in einem der vermeidenden Stufen befinden und wenn wir uns in echter Verantwortung befinden. Diese Punkte sind meiner Meinung nach so kraftvoll, dass ich sie hier alle aufführen möchte:

In Beschuldigen, Rechtfertigen, Schämen, Aufgeben, Verpflichtung und LeugnenIn Verantwortung
Unsere Gedankengänge sind einfach und beschränkt durch den mentalen Zustand.Uns stehen alle komplexen wahrscheinlichkeitsbasierten Gedankengänge unseres aussergewöhnlichen Gehirns zur Verfügung.
Unsere Logik ist mechanisch, wir suchen nach Ursache und Wirkung.Unsere Logik ist ganzheitlich, wir haben einen systemischen Blick auf alle zusammenhängenden Elemente in unserem Leben, unserer Arbeit und unseren Beziehungen.
Wir sind getrieben von Sorgen und Ängsten.Wir werden getragen von dem, was wir wirklich wollen im Leben, bei der Arbeit in Beziehungen, sowohl auf lange Sicht als auch für die aktuelle problematische Situation.
Wir sind ziemlich schwach.Wir sind unglaublich stark.
Wir sind eingeschränkt durch unsere Realität.Wir schaffen unsere Realität.
Wir sind Opfer.Wir sind Handelnde.
Wir haben Probleme, die stärker sind als wir.Wir wissen, dass wir stärker sind als jedes Problem, dem wir begegnen.

Das klingt doch nach Superkräften, oder?

Echte Verantwortung erfordert ein tiefes Verständnis für die eigenen Werte und Ziele und die Bereitschaft, sich aktiv dafür einzusetzen. Es bedeutet, sich nicht von äusseren Umständen oder den Erwartungen anderer leiten zu lassen, sondern aus innerer Überzeugung zu handeln.

Die drei Schlüssel

Du hast nun viel über den Prozess und die Stufen erfahren. Aber wie kommt man zu echter Verantwortung? Wie schon bei den einzelnen Stufen angedeutet, geht es zunächst darum, sich bewusst zu werden, was man will, zu erkennen, auf welcher Stufe des Verantwortungsprozesses man sich befindet und dann die Entscheidung zu treffen, diese Stufe und ihre Begrenzungen zu verlassen und den Schritt zu tun, der notwendig ist, um von der Ist-Situation zur Soll-Situation zu gelangen.

Es sind also drei Kompetenzen erforderlich, um zu einer wirklichen Übernahme von Verantwortung zu gelangen. Sie werden im Buch als «Schlüssel» bezeichnet und heissen «Absicht», «Aufmerksamkeit» und «Sich Stellen». Gehen wir sie gemeinsam durch:

Absicht

Der erste Schlüssel ist die Absicht. Wer nicht aus den anderen Zuständen herauskommen will, wird es auch nicht erreichen (S. 108). Die Absicht gibt uns die Richtung vor und hilft uns, unsere Energie auf das zu konzentrieren, was uns wirklich wichtig ist.

Aufmerksamkeit

Der zweite Schlüssel ist Aufmerksamkeit. Es geht darum, sich des eigenen mentalen Zustands bewusst zu werden (S. 110). Aufmerksamkeit hilft uns, präsent zu bleiben und unsere Reaktionen auf Situationen zu beobachten, anstatt automatisch zu handeln. Sie ermöglicht es uns, bewusste Entscheidungen zu treffen und uns auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt.

Sich Stellen

Der dritte Schlüssel ist das Sich-Stellen. Es bedeutet, sich mit dem Konflikt auseinanderzusetzen und die Diskrepanz zwischen dem, was man hat, und dem, was man will, zu erkennen (S. 115). Dieser Schlüssel wird auch als Wachstumsschlüssel bezeichnet, denn nur durch die Bereitschaft, den inneren Prozessen auf den Grund zu gehen, können wir wachsen. Avery zieht hier auch Verbindungen zu Meditation, Buddhismus, Yoga, indianischen Traditionen etc. (S. 128). Sich zu stellen erfordert Mut und die Bereitschaft, sich unangenehmen Wahrheiten zu stellen, um daraus zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

Wenn Probleme oder Ärger auftreten, neigen wir dazu, uns zu fragen: «Was soll ich tun?» Eine alternative Perspektive wäre jedoch: «Was will ich?» oder «Was wollen wir?» Die erste Frage entspringt einer Gesellschaft, die auf Expert:innenmeinungen setzt, und suggeriert, dass irgendjemand die Lösung bereits kennt. Wir wurden darauf konditioniert zu glauben, dass verantwortungsvolles Handeln bedeutet, die «richtige» Antwort zu finden und einfach den Anweisungen zu folgen, die uns gegeben werden. Doch wohin hat uns diese Denkweise als Gesellschaft geführt? Zu mehr Ängsten und mehr Depressionen (S. 155-156).

Wenn dich dieses Thema interessiert, empfehle ich dir das Buch oder die Angebote auf der Website von Christopher Avery. Er erklärt darin auch, wie Verantwortung in einem Team funktioniert. Er sagt, dass bei geteilter Verantwortung Alignment und Integration die beiden wichtigen Dynamiken sind. Alignment bedeutet, dass alle in die gleiche Richtung gehen und Integration steht für die Stärke gemeinsamer Werte oder Beziehungen (S. 185-186). Echte Verantwortung in einer Gruppe erfordert, dass alle Mitglieder ein gemeinsames Ziel verfolgen und sich auf gemeinsame Werte einigen, die ihr Handeln leiten. Auch dies ist ein spannendes Thema, dem wir uns ein anderes Mal widmen könnten.

Abschluss

Du kennst nun den Responsibility Process und hast damit ein Modell in der Hand, das dir helfen kann, in Problemsituationen zu überprüfen, ob du wirklich Verantwortung übernimmst oder durch welches Verhalten du dich der Verantwortung entziehst. Vielleicht kennst du Menschen, von denen du dir mehr Verantwortungsübernahme wünschst. Und du möchtest sie mit diesem Modell voranbringen. Dann muss ich dich enttäuschen, so einfach funktioniert das leider nicht. Echte Verantwortungsübernahme und Eigeninitiative kann man nicht verordnen. Aber natürlich können Menschen, die Verantwortung übernehmen, andere dazu motivieren. Und das Verstehen des Responsibility Process kann mehr Menschen helfen, ihr Verhalten zu reflektieren und echte Verantwortungsübernahme zur Gewohnheit werden zu lassen. Aber es gehört noch viel mehr dazu, z.B. in der Arbeitswelt eine gesunde, gewaltfreie Organisation zu schaffen, in der Verantwortungsübernahme ihre volle Wirkung entfalten kann. Aber auch das ist ein Thema für einen anderen Beitrag.

Ich wünsche dir viel Freude dabei, die Superkraft «Verantwortung übernehmen» zu nutzen, um dein Leben und dein Umfeld zu bereichern.


Quellen

  • Avery, Ch. (2019). The Responsiblity Process – Wie Sie sich selbst und andere wirkungsvoll führen und coachen. Heidelberg: dpunkt.verlag GmbH.

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Kommentare

Eine Antwort zu „Verantwortung – Die ungenutzte Superkraft“

  1. […] Einen eigenen Beitrag zu diesem Thema habe ich hier veröffentlicht: Verantwortung – Die ungenutzte Superkraft […]

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